MAD macht impotent
TITANIC-Gespräch mit Klaus Recht über Bill Gaines, Burda und Bordelle
Klaus Recht war lange Jahre Verleger des deutschen MAD und nach Feuersteins Weggang letzter Chefredakteur.
TITANIC
Die kürzlich erschienene 300. Ausgabe des deutschen MAD ist auch die letzte gewesen. Warum?
Recht
Ich fragte unsere amerikanischen Lizenzgeber seit Monaten: »Soll ich aufhören?«, aber die konnten sich nicht entschließen. Immer wenn ich eine Nummer fertig hatte, fragte ich: »Soll das jetzt die letzte sein?« Und jetzt ist es die letzte, nach 28 Jahren. Wie alt ist eigentlich Titanic?
TITANIC
Wir sind jetzt siebzehn. PARDON wurde 20 Jahre alt und ging zuletzt mit 30.000 verkauften Exemplaren ein. So viel, wie MAD jetzt auch noch hatte.
Recht
Wir hatten aber zu Spitzenzeiten, Anfang der achtziger Jahre, 330.000. Und das amerikanische MAD wurde 3 Millionen Mal gedruckt.
TITANIC
Aber heute verkaufen sich dort auch nur noch 400.000 Exemplare. Erfährt die Lachlust eine weltweite Rezession?
Recht
Nein, das ist der Pillenknick.
TITANIC
Aha.
Recht
Der gesamte Zeitschriftenmarkt, mit Ausnahme der Fernsehblätter, verkauft weniger, gleichzeitig entstehen massenhaft neue Zeitschriften. Die MAD-Zielgruppe dagegen ist von den potentiellen Eltern einfach nicht gezeugt worden.
TITANIC
Weil die durch MAD aufgeklärt wurden. Dort wurde Sex völlig ausgespart und fand allenfalls in Form von »fummeln« statt.
Recht
Ja, Sex gab’s bei uns nicht. Die perfekte Verdrängung war das Verdienst der prüden Amerikaner. Aber die Rechnung geht auf: Die vielen MAD-Leser von damals bleiben uns heute den Nachwuchs schuldig.
TITANIC
Die Misere ist also hausgemacht.
Recht
MAD macht impotent.
TITANIC
Gibt es Beweise?
Recht
Bill Gaines, der MAD vor 40 Jahren erstmals verlegt hat, war ein Riese von 300 Pfund, zeugte in seiner Frühzeit drei furchtbare Kinder und wurde später aufgrund seiner Fettleibigkeit impotent. Vor fünf Jahren starb er ganz.
TITANIC
So weit haben Sie’s noch nicht gebracht.
Recht
Ich habe leider nur einen furchtbaren Sohn gezeugt und bin nicht ganz so dick geworden. Trotzdem habe ich von meinen 23 MAD-Jahren sehr gut gelebt. Ich habe viel verdient, und das muß ein Verleger auch. Ich hatte schließlich immense Ausgaben für die elf Flugzeuge, die ich nacheinander besessen habe.
TITANIC
Da fehlte ja nur noch eins für die »Apostel-Airlines«. Und für solche Hobbys hatten Sie immer Zeit?
Recht
Buchstäblich. Feuerstein schmiß den Laden, und ich brauchte 15 Jahre nicht zu arbeiten. Absolut nichts. Ich verdiente wahnsinniges Geld, wurde reich und hatte einen Riesenspaß.
TITANIC
Sekt und nackte Weiber.
Recht
Auch das stimmt. Wir hatten zeitweise eine Vertriebsfirma, die dem Heinrich Bauer-Verlag gehörte, und der Geschäftsführer stellte immer einen »Vergnügungsetat« zur Seite, eine schwarze Kasse. Wir gingen dann immer auf Kosten von Heinrich Bauer vögeln.
TITANIC
Heute auch noch?
Recht
Nein, ich bin erschöpft. Ich habe gerade noch die Kraft, durch geschickte Transaktionen die Quellensteuer zu umgehen.
TITANIC
Sie sind am Ende, aber wie fing MAD an?
Recht
Bill Gaines besaß Anfang der fünfziger Jahre einen Verlag, der erfolgreiche Horror- und Kriminal-Comics fabrizierte. Irgendwann fanden amerikanische Psychologen aber heraus, daß solche Comics die Ursache für die steigende Jugendkriminalität seien, was dazu führte, daß die »Comics Magazine Association of America«, eine Art freiwillige Selbstkontrolle der Comicverleger, Gaines das Handwerk legen wollte. Um Ärger aus dem Weg zu gehen, ließ er nur noch Comic-Parodien drucken. Das hatte schnell Erfolg. Später kamen Parodien auf Kinofilme und Fernsehsendungen dazu.
TITANIC
Wie ist Ihre Erklärung für den Untergang von MAD?
Recht
Wir sind alte Männer geworden, die eine Zeitschrift für junge Leute machen.
TITANIC
Wir haben das vermieden und uns ständig erneuert. Der neue Chefredakteur ist zwar noch keine 30, aber sobald er leergebrannt ist, wird er ersetzt. Die anderen stehen schon in der Warteschleife. Aber was sollen wir nun machen, da ohne MAD kein lachender Nachwuchs mehr großgezogen wird?
Recht
Auf keinen Fall das Blatt jünger machen. Sonst seid ihr auch bald dran.
TITANIC
Und welches Blatt stirbt als nächstes?
Recht
Hm, ich würde sagen, die Woche.
Quelle: Titanic Magazin Oktober 1995
Autoren: Christian Schmidt, Robert Gernhardt, Oliver Schmitt