Mort Todd (1961–2025): Der Rebell mit dem Zeichenstift

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Zum Tod des Comic-Künstlers, Redakteurs und Provokateurs Michael „Mort Todd“ DelleFemine

Am 24. August 2025 starb in Portland, Maine, der Comiczeichner und -redakteur Michael Jon DelleFemine, besser bekannt unter seinem Pseudonym Mort Todd. Er wurde 63 Jahre alt. Die Polizei von Portland bestätigte, dass kein Fremdverschulden vorliege; ein abschließender medizinischer Bericht steht noch aus. Mit ihm verliert die amerikanische Comicszene einen ihrer schillerndsten und widersprüchlichsten Charaktere – einen Mann, der über Jahrzehnte hinweg mit Witz, Mut und Sturheit die Grenzen des Mediums auslotete.

Todd war ein Unruhestifter, ein Satiriker, ein Verleger – und ein leidenschaftlicher Fan. Einer, der sich nie in die Ordnung der Branche einfügte, sondern sie immer wieder herausforderte. Seine Karriere führte ihn von selbstverlegten Underground-Heften über die Redaktion des Satiremagazins Cracked bis zu Projekten bei Marvel und DC. Und auch wenn sein Name nicht so bekannt ist wie der mancher Kollegen, war sein Einfluss tiefgreifend.

„Er war ein Hustler, ein Antreiber, jemand, der Comics mit der Energie eines Rockkonzerts behandelte“, schrieb ein Weggefährte nach seinem Tod. Tatsächlich war Mort Todd jemand, der Comics nicht nur produzierte – er lebte sie.


Ein Kind zwischen Plastikman und Penny Candy

Michael Jon DelleFemine wurde am 9. November 1961 in Rhode Island geboren und wuchs im nahegelegenen Yarmouth, Maine, auf. Sein Vater Olivo war Gewerkschafter, seine Mutter Constance kümmerte sich um Haushalt und Familie. Schon als Kind liebte Michael die bunten Hefte, die an der Supermarktkasse hingen – insbesondere die von Jack Cole gezeichneten Abenteuer von Plastic Man.

Porträt von Mort Todd, dem US-amerikanischen Comiczeichner und ehemaligen Cracked-Chefredakteur (1961–2025).
Mort Todd (1961–2025) prägte über Jahrzehnte die amerikanische Comicsatire – als Zeichner, Herausgeber und provokanter Querdenker.

Er zeichnete früh, schrieb Geschichten, gründete mit zwölf Jahren die Schülerzeitung seines Sommerlagers und produzierte darin kleine Comics. Als der Sommer endete, überredete er die Lagerleitung, die Druckmaschine zu behalten, „um weiterzudrucken“. Zu Hause entstanden erste eigene Comics, die er an Freunde und Nachbarn verteilte.

„Er hatte diese Energie, die alles in Bewegung brachte“, erinnerte sich sein Bruder Douglas später. „Sogar den Zeitschriftenständer aus dem Laden um die Ecke hat er irgendwie bekommen, nur um seine Comics ordentlich zu präsentieren.“ Comics waren für den jungen DelleFemine keine Flucht – sie waren Lebensform und Berufung.


Vom Punk zur Satire: Die Geburt von Mort Todd

Mit 17 zog DelleFemine nach New York City, um an der Parsons School of Design zu studieren. Dort lernte er Gleichgesinnte kennen: Daniel Clowes, Rick Altergott und Pete Friedrich – junge Künstler, die bald zu wichtigen Figuren des alternativen Comics werden sollten. Zusammen veröffentlichten sie 1981 zwei Ausgaben der legendären, selbstfinanzierten Psycho Comics.

Diese Hefte, roh, wild und ironisch, markierten den Beginn eines Lebenswerks, das sich nie um Regeln scherte. Todd sagte später:

„Wir waren kleine Punks, die dachten, wir wären clever. Vielleicht waren wir’s sogar. Wir machten Horror-, Krimi- und Liebesparodien – alles auf einmal.“

In dieser Zeit begann er, sich den Künstlernamen Mort Todd zuzulegen – eine Mischung aus französischem und deutschem Wort für „Tod“. Ein morbider Scherz, der perfekt zu seinem schwarzen Humor passte. „Mein richtiger Name war zu kompliziert“, sagte er einmal. „Also wurde ich zu Mort Todd – kurz, knackig und tot.“


Der junge Chefredakteur, der MAD ärgerte

1985 geschah das Unglaubliche: Mit gerade einmal 23 Jahren wurde Mort Todd Chefredakteur des Humorblatts Cracked – dem ewigen Underdog neben dem übermächtigen MAD Magazine. Cracked galt als das „zweitbeste Satiremagazin der Welt“ – ein Ruf, den Todd mit Witz und Trotz umarmte. „Ich habe es immerhin auf ein drittklassiges Niveau gebracht“, witzelte er später.

Mort Todd, verkleidet als Bewerber, holt sich ein Autogramm von MAD-Verleger Bill Gaines im New Yorker MAD-Büro (1980er Jahre).
Mort Todd (rechts) schlich sich in den 1980er-Jahren inkognito in die MAD-Redaktion, um sich bei Bill Gaines ein Autogramm zu holen – eine seiner bekanntesten Aktionen in der humorvollen Rivalität zwischen Cracked und MAD.

Unter seiner Leitung veränderte sich das Magazin grundlegend. Todd suchte nach neuen Stimmen, förderte junge Zeichner wie Daniel Clowes (Ghost World), Peter Bagge (Hate) und Rick Altergott. Gleichzeitig brachte er alte Meister zurück: Steve Ditko, der legendäre Spider-Man-Mitschöpfer, arbeitete regelmäßig für ihn, ebenso der Western-Veteran John Severin.

Sein größter Coup war der Wechsel des MAD-Stars Don Martin zu Cracked – ein kleiner Skandal in der Szene. Martin hatte sich über die restriktive Verlagskultur bei MAD geärgert, insbesondere über die Tatsache, dass Künstler keine Rechte an ihren Originalen behielten. Todd nutzte die Gelegenheit:

„Ich versprach ihm denselben Seitenlohn – aber die Originalseiten gehören ihm. Das war’s. Er war dabei.“

Mit solchen Aktionen machte Todd Cracked für kurze Zeit zu einer ernstzunehmenden Alternative. Auch wenn die Verkaufszahlen hinter MAD blieben, veränderte sich der Ton des Magazins – bissiger, respektloser, zeitgemäßer.

Titelseite des ersten Cracked-Magazins mit Don Martin aus dem Jahr 1987, herausgegeben von Mort Todd.
Das erste Cracked-Heft mit Don Martin (1987), erschienen unter Chefredakteur Mort Todd – ein Wendepunkt in der Geschichte des Magazins.

Gleichzeitig inszenierte Todd sich selbst als Anti-Held des Comicbusiness. Er organisierte PR-Stunts gegen MAD, ließ Visitenkarten drucken, die den MAD-Karten täuschend ähnlich sahen, und entwendete bei einer Messe sogar das große MAD-Logo aus Styropor. Später posierte er verkleidet im MAD-Büro für ein Punkmagazin. „Ich wollte, dass sie uns verklagen“, lachte er. „Nur um zu zeigen, dass sie keinen Spaß verstehen.“


Zwischen Marvel, Musik und Misserfolgen

Nach seinem Weggang von Cracked 1990 blieb Mort Todd ruhelos. Er arbeitete als freier Künstler, Texter und Editor – und übernahm 1994 bei Marvel die Leitung von Marvel Music, einer kurzlebigen Reihe, die Comics über Pop-Ikonen wie Bob Marley, Alice Cooper und The Rolling Stones veröffentlichte. Das Experiment war kommerziell wenig erfolgreich, aber typisch Todd: schräg, ambitioniert, grenzenlos.

Parallel gestaltete er Plattencover für die Kultserie Back from the Grave – düstere, groteske Collagen, die perfekt zum Soundtrack des Garagenrock passten. In den 2000ern arbeitete er an unzähligen unabhängigen Projekten, von Neuauflagen alter Serien bis zu eigenen Verlagen wie Comicfix.

2017 startete er Charlton Neo, eine Hommage an den legendären Verlag Charlton Comics, bei dem viele spätere Superhelden-Zeichner begonnen hatten. Todd wollte die vergessenen Helden wiederbeleben – und schuf eine kleine, treue Fanbasis.

Ein besonders typisches Projekt war sein „Fund“ eines angeblich verschollenen Golden-Age-Verlags namens Zeus Comics im Jahr 2013. In einer aufwendig inszenierten Pressemitteilung behauptete Todd, alte Horrorhefte entdeckt zu haben, die in den 1950ern verboten worden seien. Wochen später stellte sich heraus: Alles erfunden. Ein grandioser Aprilscherz – und eine Hommage an die Mythen der Comicgeschichte.


Rückkehr nach Maine – und kein leiser Abschied

In den letzten Jahren seines Lebens zog Mort Todd zurück nach Maine. Dort blieb er kreativ: Er arbeitete als Grafiker, Herausgeber und Autor, gründete die lokale Humorzeitung Vex, und blieb bis zuletzt eine feste Größe in der unabhängigen Comicszene.

Er blieb auch eng mit seinen alten Weggefährten verbunden – darunter Steve Ditko, mit dem er bis zu dessen Tod 2018 regelmäßig zusammenarbeitete. Beide teilten denselben Drang nach künstlerischer Autonomie und die Skepsis gegenüber großen Verlagen.

Auch online blieb Todd aktiv, veröffentlichte Skizzen, alte Arbeiten und bissige Kommentare zur Branche. Sein letzter öffentlicher Beitrag, gepostet im Frühjahr 2025, lautete sinngemäß: „Ich hoffe, die Leute haben Spaß an Comics. Nicht nur an den alten – auch an denen, die noch kommen.“


„Ein morbid verspielter Idealist“

Seinen Künstlernamen erklärte Todd einst lakonisch:

„‚Mort‘ heißt Tod auf Französisch, ‚Todd‘ ist das deutsche Wort dafür. Ich war wohl ein morbides Kind.“

Doch trotz des düsteren Humors war er kein Zyniker. In einem Facebook-Post von 2018 schrieb er:

„Seid nicht traurig über die großen Comic-Künstler, die gegangen sind. Sie hatten produktive Leben. Zeigt lieber denen, die noch hier sind, wie sehr ihr sie schätzt – solange sie es hören können.“

Heute klingen diese Worte wie eine leise Abschiedsbotschaft.

Mort Todd hinterlässt seine Geschwister Douglas und Nancy DelleFemine – und ein Werk, das von unerschütterlicher Energie, respektloser Neugier und Liebe zum Medium durchzogen ist. Er war kein Held der Verkaufszahlen, kein Mainstreamstar. Aber er war jemand, der Comics als Kunstform ernst nahm – gerade weil er sie nie ernst nahm.


„Mort Todd war laut, frech, unberechenbar – aber immer leidenschaftlich“, schrieb ein Kollege nach seinem Tod.
„Er war das, was Comics brauchen: ein bisschen Wahnsinn, ein bisschen Witz und eine Menge Herz.“

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